Soziale Gerechtigkeit mitdenken
Seit dem 1. Oktober ist Renate Binder Geschäftsführerin der MÜNCHENSTIFT. Die 57-Jährige ist gelernte Krankenpflegerin sowie Politologin und hat Gesundheits- und Sozialmanagement studiert. Zuletzt leitete sie im Gesundheitsreferat den Bereich ‚Kommunale Gesundheitsplanung und -koordination‘.
Wo sind Sie groß geworden?
Aufgewachsen bin ich vor allem in Neuperlach zu einer Zeit, als man hier am Feldrand und am Bach gelebt hat. Seit ich auf eigenen Füßen stehe, wohne ich in und um München herum. Heute lebe ich mit meinen drei erwachsenen Kindern in Sendling nahe dem Westpark.
Was hat Sie geprägt?
Meinen Eltern war soziale Gerechtigkeit ein großes Anliegen, sie haben uns Kindern ihre Einstellung mit auf den Weg gegeben. Ich entschied mich nach der Realschule für eine Ausbildung als Krankenschwester, um in einem sozialen Beruf zu arbeiten. Das habe ich mit meiner Ausbildung in der Psychiatrie in Haar umgesetzt, wo Soziales in der Pflege einen großen Anteil hat.
Auch auf meinen späteren Stationen in der Gerontopsychiatrie, der Akutpsychiatrie und der Altenpflege hatte ich immer viel Kontakt zu älteren Menschen. Es ist sehr anspruchsvoll und herausfordernd, mit Menschen, die an einer sehr schweren Depression oder einer demenziellen Erkrankung leiden, in Beziehung zu treten und sie zu pflegen. Und genau das fasziniert mich an der Pflege.
Wie ging es nach der Ausbildung beruflich weiter?
Nach meinem Studium der Politologie und einer journalistischen Tätigkeit führte mich mein Weg in den Bayerischen Landtag: Als Fraktionsreferentin für Sozial- und Gesundheitspolitik habe ich die Pflege nun auch strategisch und planerisch kennengelernt, etwa wenn es um Pflegeschlüssel und Fachkraftquote ging.
Anschließend war ich mehr als 17 Jahre Führungskraft im Referat für Gesundheit und Umwelt, davon rund 8 Jahre als Leiterin der Abteilung Kommunale Gesundheitsplanung und -koordination. Auch hier war Pflege ein großes Thema, etwa mit dem Aufbau eines Hospiz- und Palliativnetzwerks oder der Münchner Pflegekampagne. Im letzten Jahr haben wir begonnen, ein Konzept für Community Health Nursing zu entwickeln. Ich freue mich sehr darauf mit diesem Rucksack an Erfahrung und Wissen zu meinen beruflichen Wurzeln zurückzukehren - zur Pflege.
Worauf kommt es Ihnen an?
Dass Lebenserwartung und Gesundheit eng mit Einkommen und Bildung zusammenhängen, halte ich für einen Skandal. Männer in der höchsten Einkommensgruppe leben rund 8 Jahre länger als Männer in der niedrigsten. Bei den Frauen sind es nur 4,4 Jahre. Das ist eine Tatsache, über die kaum geredet wird. Es ist mir ein Herzensanliegen, diesem Skandal entgegenzuwirken. Alle Münchner*innen, ganz egal, ob sie arm oder reich sind, arbeitssuchend oder auf der Flucht nach München gekommen sind oder hier geboren wurden, haben das gleiche Recht auf bestmögliche Gesundheit und auf eine gute Pflege.
Im Gesundheitsreferat haben wir uns denen zugewandt, denen es nicht so gut geht - Migrant*innen, Menschen mit Behinderung, Menschen in sozial schwächeren Stadtteilen oder in schwierigen Lebensphasen - und entsprechende Angebote entwickelt: beispielsweise eine gynäkologische Sprechstunde für Frauen im Rollstuhl - diese steht selbstverständlich auch den Bewohnerinnen der MÜNCHENSTIFT zur Verfügung - oder ganz aktuell der Aufbau der Fachstelle Gesund im Alter. Soziale und gesundheitliche Gerechtigkeit muss auch in der Pflege immer mitgedacht werden.
Woraus schöpfen Sie Energie für Ihre Aufgaben?
Meine Familie, meine drei Kinder, mit denen ich zusammenlebe, sind mein Fundament. Hier und auch im Freundeskreis tanke ich auf. Ich fahre gerne und viel mit dem Fahrrad, schwimme und wandere, gehe gerne ins Kino, bin Leseratte - alles, was Spaß macht!
Text: MÜNCHENSTIFT Magazin, Heft 105 - September 2023
Fotos: MÜNCHENSTIFT